LEBENS-SITUATION: LEBENSSINN - AUFGABE - GLAUBEN
Es gibt schwere Leiden, Beeinträchtigungen und Behinderungen - aber auch soziale Umstände, welche zu oft ähnlichen Folgen führen:
z.B. zu Mutlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Lähmung, Erstarrung, Unsicherheit oder dem Gefühl von Inkompetenz.
Diese Folgesymptome führen zur Unfähigkeit, wichtige Entscheidungen (besonders für sich selbst) treffen zu können.
Es gibt aber ebenso Leiden mit ähnlichen Folgen, die andere verständnislos als "Luxus-Problem" ansehen - was gerade vom Betroffenen als besonders quälend und ausgrenzend empfunden wird und dessen sowieso schon problembeladenen Zugang zur "normalen" Gesellschaft zusätzlich erschwert. Diese Bedrückungen sind meist in Wahrnehmung und Geist begründet (z.B. Hypersensivität, Hypersensibilität) und äußern sich oftmals in inneren Fragen und Zweifeln- z.B. zu folgenden Themen:
Diese Zweifel und Empfindungen der Unsicherheit sind meines Erachtens nicht gleich per se in Kategorien wie Mangel oder gar Krankheit anzusiedeln. Im Gegenteil: Solche Menschen nehmen die Umwelt oftmals viel klarer und authentischer wahr und erkennen Ungerechtigkeiten, Missstände und strukturelle Schwächen der "kranken" Gesellschaft - und leiden daran.
Hier gibt es meines Erachtens nichts zu "behandeln" oder der Gesellschaft "anzupassen". Sicher stimmen viele Therapeuten zu, dass ein Leben jenseits des gesellschaftlichen Mainstreams bereichernd und auch wichtig für die Diversität der Gesellschaft ist, aber inhaltlich werden die meisten außer in psychologischen Punkten da inhaltlich nicht "mitgehen" können.
Ich denke, dass ein sehr genaues Hinsehen erforderlich ist, wo die Wahrnehmung wichtig für die Heilung des Sensiblen ist (damit er nicht seine Lebensfreude verliert und an dem Spanungsfeld nicht zerbricht) und wo dieser innere Konflikt nur ins Bewusstsein zu holen und somit wichtig für die Heilung der Gesellschaft ist!
Ich selbst kommuniziere mit Menschen, die in sich Unaussprechliches spüren oder auch „wissende Zeugen“ in ihrer Lebenswahrnehmung suchen, gern kreativ (schon deshalb, weil ich selbst mich ihnen nahe fühle!) und nutze dazu auch mein reichhaltiges Repertoire.
Zum Beispiel über die Verständigung durch die Kunst ...
Literatur, Theater, Malerei und andere menschlich-künstlerische Ausdrucksformen - und besonders die Musik! - können einen seelischen Zustand und eine Wahrnehmung des Seins emotional und spirituell auf eine Weise ausdrücken, welche vom Wesen her der rationalen Sprache und der Analyse verschlossen bleiben muss. Das Wahrnehmen und Erleben einer Situation, eines Zustands oder einer Vision in seiner Seelengestalt bleibt dem Verstand unzugänglich.
Hier untenstehend als Beispiel des Ausdrucks dessen, was eigentlich nicht in Worte zu fassen ist, die letzten drei der insgesamt fünf Orchesterlieder op.4 (nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg) von Alban Berg. In den Liedern Nr.3 und 4 ist die bodenlose Verunsicherung und gefühlte Inhaltslosigkeit des Lebens und der Aufbruch daraus greifbar, im fünften Lied bricht sich das Unsagbare des Leids Bahn, das nicht in rational zu fassen aber tröstlich im Lyrischen und der genialen und ergreifenden Musik Alban Bergs gemeinsam verbunden erlebbar ist:
Über die Grenzen des All blicktest du sinnend hinaus;
Hattest nie Sorge um Hof und Haus!
Leben und Traum vom Leben, plötzlich ist alles aus - - -.
Über die Grenzen des All blickst du noch sinnend hinaus!
Nichts ist gekommen, nichts wird kommen für meine Seele
- - -.
Ich habe gewartet, gewartet, oh, gewartet -.
Die Tage werden dahinschleichen -.
Und umsonst wehen meine aschblonden seidenen Haare um mein bleiches Antlitz - - -.
Hier ist Friede - - -.
Hier weine ich mich aus über alles.
Hier löst sich mein unermeßliches unfaßbares Leid, das meine Seele verbrennt.
Siehe, hier sind keine Menschen, keine Ansiedlungen.
Hier tropft Schnee leise in Wasserlachen - -
-.
Das letzte Gedicht Altenbergs ist übrigens so nicht zu Ende, denn Alban Berg hat nur dessen erste sechs Zeilen vertont.
Berg hat in der von ihm gekürten Gedichtfassung und seiner expressiven Vertonung (und somit auch extrem ernsten und emotional intensiven Auslegung) ganz auf die das unaussprechlich Schmerzliche, Augenblickliche und durch menschliche Gemeinschaft nicht zu Heilende und den Trost (Abspaltung, Flucht) in der außermenschlichen Natur zum Inhalt genommen.
Der Dichter der Zeilen Peter Altenberg zeigt sich im weiteren Verlauf des Gedichts vielschichtiger und am Ende vielleicht sogar trotz der Unerfülltheit seines romantischen Ideals mit einem lächelnden humorigen Verständnis für die menschliche Natur:
Denn wir Menschen können uns nicht in einem völlig identischen "Wir-Erleben" finden - und ein Mensch, der solche Illusionen hegt, wird ent-täuscht und bleibt diesbezüglich unerfüllt . . .
Hier nun das ganze Gedicht, das der Sammlung
"Was der Tag mir zuträgt" (1901) entstammt:
Hier ist Friede – – –. Hier weine ich mich aus über alles.
Hier löst sich mein unermeßliches unfaßbares Leid, das meine Seele verbrennt.
Siehe, hier sind keine Menschen, keine Ansiedlungen.
Hier tropft Schnee leise in Wasserlachen – – –.
Hier suchte sie die ersten Blüthen, und fand nichts.
Und ich sagte zu ihr: «Diese gelbgrünen feuchten Rasenflecke, die der zerrinnende Schnee bloßlegt, sind schöner als Blumen – – –.»
Da sah sie hin und
erkannte!
Hier bleibe stehen mit deiner geliebtesten Freundin, und belausche ihr Antlitz – – –!
Fühlt sie
dasselbe
wie du, dann kannst du
beruhigt
mit ihr weiterschreiten, in
die Gelände des Lebens!
Ich suchte eine Frau, die den Schnee
wirklich
liebte; und ich fand keine;
Sie
benützten
nur den Schnee, für ihre Skier! –
Warum schreibe ich auf meiner Seite BEFREITE SEELE so viel Text zu diesem Gedicht?
Weil ich das hier Wesen der Heilung ganz in diesem von mir interpretierten Sinne sehe:
Der Komponist Alban Berg zeigt einen reinen Seelenzustand in seiner unerlösten Form und Abspaltung oder Flucht . . .
Der Dichter Peter Altenberg zeigt vielleicht etwas ganz anderes in einer erlösten Form:
Ein Erkennen und Annehmen dessen was ist über den seelischen Schmerz hinaus - mit Hilfe eines starken Geistes und freien Verstandes
Es sind beides kreative Prozesse. Beide gehörten zur Arbeit . . .
Alban Berg: 5 Orchesterlieder "Altenberg Lieder"
- Nr.3 "Über die Grenzen des All"
- Nr.4 "Nichts ist gekommen"
- Nr.5 "Hier ist Friede"
Margaret Price (Sopran)
Claudio Abbado / London Symphony Orchestra
Dez.1970 (CD: DG -
EAN 028944971422)